Die Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern warnt vor einer drohenden Klagewelle, sollte der gesetzlich verankerte Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung ab 2026 für Kinder mit Behinderung nicht umgesetzt werden. Auf ihren Antrag hin fand gestern ein Expert*innengespräch zur inklusiven Hortbetreuung in einer gemeinsamen Sitzung des Bildungs- und Sozialausschusses statt. Dabei wurde deutlich: Unter den aktuellen Bedingungen ist eine flächendeckende Umsetzung nicht realisierbar.
„Alle leiden unter der Situation“
Jutta Wegner, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion, fasst zusammen: „Es gibt derzeit kaum inklusive Horte in MV. Kinder mit Förderbedarfen bleiben deshalb vielerorts ohne Betreuungsplatz oder müssen früher abgeholt werden, wenn ihr Inklusionshelfer verhindert ist. Das belastet nicht nur die Kinder und ihre Familien, sondern auch die Fachkräfte, die mit der deutschlandweit schlechtesten Fachkraft-Kind-Relation von 1:22 arbeiten müssen. Ohne multiprofessionelle Teams und angemessene Räumlichkeiten können weder Kinder mit noch Kinder ohne Behinderung derzeit bedarfsgerecht gemeinsam betreut werden. Sie alle leiden unter der Situation. Wir Bündnisgrüne stehen klar zu echter Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Deshalb sind der Rechtsanspruch ab 2026 und eine gemeinsame Betreuung ein Meilenstein. Doch die Landesregierung muss jetzt handeln, um die Umsetzung sicherzustellen. Wir dürfen die Horte, Eltern und Kinder nicht allein lassen.“
„Das Land weiß nicht einmal, wie viele Familien mit ihren Kindern betroffen sind und einen Rechtsanspruch haben“
Dieser Forderung schließt sich Dr. Harald Terpe, sozialpolitischer Sprecher der Fraktion, an. Er fügt hinzu: „Wenn ein Inklusionshelfer krank ist, kann das betroffene Kind aufgrund des schlechten Personalschlüssels nicht in den Hort gehen. Hinzu kommt, dass es aktuell keine verbindlichen Qualitätsstandards oder Vorgaben für die Qualifizierung von Inklusionshelferinnen gibt – faktisch kann derzeit jeder nach einer Weiterbildung diese komplexe Arbeit ausüben. Diese unzureichenden Standards verschärfen die Probleme vor Ort. Gleichzeitig fehlen belastbare Daten: Das Land weiß nicht einmal, wie viele Familien mit ihren Kindern betroffen sind und einen Rechtsanspruch haben.
Deshalb brauchen wir dringend einen Inklusionsgipfel. Nur wenn Bildungs- und Sozialministerium gemeinsam mit Kommunen, Trägern, Expert*innen und dem Landtag einen Plan entwickeln, kann die Inklusionsstrategie des Landes effektiv weiterentwickelt und auf die ganztägige Betreuung angepasst werden. Die bisher getrennten Zuständigkeiten aus dem KiföG und der Eingliederungshilfe müssen verzahnt werden, um Horten die notwendigen Ressourcen bereitzustellen. Ohne eine solche koordinierte Strategie ist der Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung für Kinder mit Behinderung akut gefährdet.“
Hintergrund:
Das Kinderförderungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (KiföG M-V) sichert den Anspruch auf Betreuung für Kinder mit und ohne Behinderung gleichermaßen. Träger der Kindertageseinrichtungen erhalten in den Leistungs-, Qualitäts- und Entgeltvereinbarungen die gleichen Platzkosten. Dementsprechend können Horte behinderungsbedingte Mehrbedarfe derzeit nicht über das KiföG finanzieren, sondern sind auf die Eingliederungshilfe angewiesen. Diese Trennung führt in der Praxis zu erheblichen Problemen: Den Horten ist es nicht möglich, ihr Personal selbstständig gezielt zu erweitern, zu qualifizieren und zu steuern. Es fehlen zudem Inklusionshelfer*innen, die in die Hortteams integriert sind. Steht ein Helfer beispielsweise aus Krankheitsgründen nicht zur Verfügung, bedeutet das, dass das betroffene Kind den Hort nicht besuchen kann.Inklusive Horte bieten im Interesse der Kinder mit und ohne Förderbedarf vielfältige Angebote an und achten auf Rückzugsräume und reizarme Umgebungen. Zudem werden multiprofessionelle Teams eingesetzt, bestehend aus z.B. (Heil-)Erzieherinnen, Sonderpädagog*innen, Physiotherapeut*innen, Logopäd*innen und Krankpfleger*innen. Diese Rahmenbedingungen sind flächendeckend nicht gegeben. Aus Sicht der gestern angehörten Expert*innen sind diese jedoch Voraussetzung für den gemeinsamen Hortbesuch von Kindern mit und ohne Förderbedarf im Kontext der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Betreuung.Die Zeit drängt: Ohne umfassende Maßnahmen drohen den Horten, den betroffenen Familien und dem Land ab 2026 massive Rechtsstreitigkeiten.
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Sozialpolitischer Sprecher
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bildungspolitische Sprecherin