Enquete-Kommission: Sozialministerin Drese übergeht Kinder und Jugendliche // Damm: „Wortbruch und fachliches Versagen kosten Vertrauen“

Monatelang gab es Mutmaßungen, die Landesregierung arbeite trotz gegenteiliger Ankündigungen an der Enquete-Kommission „Jung sein in MV“ und dem Kinder- und Beteiligungsprozess #mitmischenMV vorbei. In einer Landtagsbefragung räumte Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) nun ein, dass der Landesregierung der Gesetzentwurf für ein „Mitwirkungsgesetz“ bzw. ein „Kinder- und Jugendbeteiligungsgesetz“ tatsächlich bereits vorliege. Dieser habe schon die Ressortanhörung final durchlaufen, ein Kabinettsbeschluss stehe kurz bevor, so die Ministerin. Damit ist klar: Stefanie Drese hat Wortbruch begangen in Bezug auf die Beteiligung junger Menschen an der Erarbeitung eines Kinder- und Jugendbeteiligungsgesetzes.

Das Thema „Korrektur der fehlenden Beteiligung beim Beteiligungsgesetz“ soll nun am Freitag, den 7. Juli 2023, auf Antrag der bündnisgrünen Landtagsfraktion auch in der öffentlichen Sitzung der Enquete-Kommission „Jung sein in MV“ beraten werden.

„Landesregierung begeht Wortbruch“

Hannes Damm, stellvertretender Vorsitzender der Enquete-Kommission und bündnisgrüner Obmann, kritisiert im Vorfeld das Vorgehen der Landesregierung scharf: „Widersprüchlicher geht es nicht: Die Landesregierung schreibt ein Gesetz zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ohne Kinder und Jugendliche zu beteiligen. Damit begeht sie eindeutig Wortbruch. Auch das fachliche Versagen von Sozialministerin Stefanie Drese kostet enorm viel Vertrauen.

Die Rechte junger Menschen gemäß der UN-Kinderrechtskonvention, die offiziellen Qualitätskriterien des Bundesfamilienministeriums und zuletzt ihre eigenen Versprechen interessieren Sozialministerin Drese offenbar nicht mehr. Stattdessen soll ein seit vielen Jahren überfälliges Gesetz im Hauruckverfahren auf den Weg gebracht werden – mit dem Resultat, dass die Beteiligungsrechte junger Menschen, welche durch das geplante Gesetz eigentlich gestärkt werden sollen, nun fundamental ignoriert werden.“

Zusagen allesamt gebrochen

„Noch am Tag der Kinderrechte im November vergangenen Jahres erklärte Ministerin Drese, dass die Erkenntnisse aus der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen in den Gesetzschreibungsprozess einfließen würden. Anfang dieses Jahres sicherten Sozialministerium und Landesregierung zu, dass sowohl der Beteiligungsprozess für junge Menschen #mitmischenMV, als auch das beauftragte Gutachten des Deutschen Jugendinstituts abgewartet werden würden, bevor weitere Schritte unternommen werden würden. Diese Zusagen wollen die Verantwortlichen nun allesamt brechen.

Dass anscheinend weder aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse noch die Sichtweisen und Wünsche junger Menschen maßgeblich in die Gesetzgebung einfließen sollen, spottet jeder Beschreibung. In der Fachwelt bezeichnet man ein solches Vorgehen als ‚Scheinbeteiligung‘. Das werden wir nicht auf sich beruhen lassen und haben daher einen Antrag eingereicht, in dem wir die Landesregierung dazu auffordern, die Interessen der jungen Menschen im Gesetzentwurf entscheidend zu berücksichtigen. Fadenscheinige Ausreden mit Verweis auf Zeitnot lassen wir nicht gelten. Auch mit der von uns geforderten Beteiligung junger Menschen kann das Gesetz rechtzeitig vor der Kommunalwahl im Juni 2024 Inkrafttreten. Die Landesregierung muss deshalb Wort halten. Denn eine starke Demokratie lebt von Vertrauen – und nicht von gebrochenen Versprechen.“


Hintergrund:

Seit Konstituierung der Enquete-Kommission „Jung sein in MV“ im Mai 2022 erarbeiten die 25 Mitglieder, davon 13 Landtagsabgeordnete und zwölf ehrenamtliche, nicht-parlamentarische Mitglieder, u. a. Empfehlungen für eine umfassende Beteiligung und Mitwirkung junger Menschen an politischen Entscheidungen. Hierzu hat die Enquete-Kommission bislang mehrere Dutzend junger Menschen direkt einbezogen, acht Sachverständige geladen und angehört, sowie 15 umfangreiche Stellungnahmen von Vereinen, Verbänden und weiteren Fachinstitutionen verarbeitet. Eine dreistellige Zahl junger Menschen hat sich bereits jetzt in den Beteiligungsprozess #mitmischenMV eingebracht. Das wissenschaftliche Gutachten zur Beteiligung und Mitwirkung wurde durch die Enquete-Kommission beim Deutschen Jugendinstitut in Auftrag gegeben und soll bis Ende August 2023 fertiggestellt werden. Die Präsentation der Ergebnisse ist für Mitte September dieses Jahres terminiert. Die Vorstellung der Resultate zur Kinder- und Jugendbeteiligung in der Enquete-Kommission ist für die Sitzung im November 2023 angesetzt.


Hinweise:

Die Sitzung der Kommission kann ab 11:00 Uhr im Landtag oder per Livestream auf www.landtag-mv.de verfolgt werden. Den Antrag der bündnisgrünen Landtagsfraktion „Sicherstellung der Beteiligung junger Menschen an der Erarbeitung eines Kinder- und Jugendbeteiligungsgesetzes über #mitmischenMV“ finden Sie hier. Den zitierten Bericht der Landesregierung zum Themencluster „Politische Beteiligung und Mitwirkung junger Menschen“ (Kommissionsdrucksache 8/47) finden Sie hier.

Auszug: Artikel 12 der UN-Kinderrechskonvention.

Papier des Bundesfamilienministeriums zu Qualitätskriterien zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen.

Chronologie samt Zitaten von Ministerin Drese, Sozialministerium und Landesregierung

15. Juni 2023
Antwort (Auszug) von Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) auf eine Frage des Abgeordneten Hannes Damm (Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN MV) in der Befragung der Landesregierung:
„Die Ressortanhörung zum Gesetz ist jetzt abgeschlossen. Wir wollen also zeitnah uns im Kabinett mit dem Gesetz befassen und dann im Anschluss in die Verbandsanhörung einsteigen, sodass die geplante Behandlung im Herbst im Landtag dann hoffentlich so erfolgen kann.“

Videomitschnitt der 56. Sitzung des Landtags MV am 15. Juni 2023 (Zeitmarke bei relevantem Redebeitrag von Hannes Damm und Ministerin Drese gesetzt)

14. März 2023
Schriftlicher Bericht der Landesregierung zum ersten Themencluster „Politische Beteiligung und Mitwirkung junger Menschen“ (Kommissionsdrucksache 8/47, Seite 7 (s. Anhang)):
Die Landesregierung führt aus, dass „weitere Schritte zum Ausbau der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen von der Vorlage dieses Gutachtens und dem Ergebnis des Beteiligungsprozesses #mitmischenMV abhängig“ gemacht werden.

20. Januar 2023
Dietrich Brandt, Abteilungsleiter Jugend im Sozialministerium MV, in der 8. Sitzung der Enquete-Kommission „Jung sein in MV“:
„Keineswegs wolle man die Arbeit und Ergebnisse der Kommission vorwegnehmen. Beteiligungsprozesse zu initiieren oder ein Kinder- und Jugendbeteiligungsgesetz zu verabschieden bedürfe einer guten Beteiligung. Diese sehe er hier im Prozess der Kommission durchaus. Würde man die hieraus resultierende Beratung vorwegnehmen, wäre dies nicht glaubwürdig.“

Videomitschnitt der 8. Sitzung am 20. Januar 2023 (Zeitmarke bei relevantem Redebeitrag von Dietrich Brandt gesetzt).

20. November 2022
Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) anlässlich des Internationalen Tags der Kinderrechte:
„Im Rahmen der Enquete-Kommission ‚Jung sein in MV‘ werden derzeit wichtige Erkenntnisse unter Beteiligung junger Menschen und Fachkräfte zusammengetragen. Diese Informationen werden im Anschluss in den Gesetzschreibungsprozess für ein Kinder- und Jugendbeteiligungsgesetz einfließen.“

Pressemitteilung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Sport: „Drese: Kinder haben ein Recht auf Förderung und Beteiligung“.


Hannes Damm MdL
Stellvertretender Vorsitzender der Enquete-Kommission