Die fehlerhaften Ermittlungen in Bezug auf den Messerangriff eines 64-jährigen Deutschen auf einen italienischen Staatsbürger mit tunesischem Familienhintergrund in Stralsund am 26. Mai 2024 erzeugen zunehmenden Aufklärungsbedarf. Zu den vom NDR veröffentlichten Bewertungen der Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft durch den Polizeiwissenschaftler und international renommierten Ermittlungsexperten Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum erklärt Constanze Oehlrich, Fraktionsvorsitzende und rechtspolitische Sprecherin der BÜNDNISGRÜNEN Landtagsfraktion:
„Justizministerin Bernhardt verweigert die Aufklärung eines potentiellen Justizskandals. Ermittlungsfehler gefährden das Vertrauen in den Rechtsstaat, mögliche Versäumnisse bei den Ermittlungen müssen daher umfassend untersucht und wo nötig korrigiert werden. Stattdessen hat Ministerin Bernhardt im zuständigen Rechtsausschuss des Landtags Auskünfte weitgehend verweigert. Justizministerin und Staatsanwaltschaft enthielten dem Ausschuss sogar Informationen vor, die bereits an die Öffentlichkeit kommuniziert worden waren.
Es liegen ganz offensichtliche, massive Ermittlungsfehler vor und Ministerin Bernhardt sieht nach eigener Aussage bisher keinen Anlass, die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft Stralsund zu beanstanden. Es steht ein Versagen der Ermittlungsbehörden bei einem potentiellen rechtsextremen Mordversuch im Raum und die Ministerin weigert sich, ihren Aufgaben nachzukommen.“
Augenzeugen, ein erfahrener, ehemaliger Polizeidienststellenleiter aus Neubrandenburg und ein international hoch anerkannter Polizeiwissenschaftler sind sich einig, dass Polizei und Staatsanwaltschaft gleich mehrere massive Ermittlungsfehler begangen haben. Dazu Oehlrich:
„Als Tatort eines versuchten Mordes hätte die Bar von der Polizei umgehend abgesperrt und untersucht werden müssen. Es war laut Experten eine Fehlentscheidung, dass die Party weitergehen und Spuren einfach weggewischt werden konnten. Die Wohnungsdurchsuchung bei dem mutmaßlichen Täter hat erst neun Tage nach der Tat und damit viel zu spät stattgefunden. Spuren hätten längst beseitigt werden können. Für die bis zur Medienveröffentlichung vollständig ausgebliebene Pressearbeit der Staatsanwaltschaft gibt es bis heute keine fachlich haltbare Begründung. Auch eine Auswertung des Handys lag sieben Wochen nach der Tat noch immer nicht vor. Chatverläufe müssen aber umgehend sichergestellt werden. Kurznachrichten können Aufschluss geben über ein mögliches Tatmotiv und zu der Frage, ob es weitere Beteiligte gab. Weiterhin ist auch offen, von wem und aus welchen Gründen der Tatvorwurf von ‚versuchtem Mord‘ auf ‚gefährliche Körperverletzung‘ herabgestuft wurde. Es ist zu befürchten, dass mit der Herabstufung dafür gesorgt werden sollte, dass der Fall keine größere Aufmerksamkeit erregt. Und das wäre ohne investigativen Journalismus vielleicht sogar so gekommen.“
Der mutmaßliche Täter soll nach der Tat zudem mehrfach und auch in Anwesenheit der Polizei „Das habe ich für Deutschland gemacht“ gerufen haben. Ein möglicherweise rechtsextremes Tatmotiv wäre bei der Strafzumessung zu berücksichtigen und darf deswegen nicht unter den Tisch fallen. Constanze Oehlrich:
„Anstatt das Offensichtliche zu bestreiten und weiter zu mauern, muss Ministerin Bernhardt die Aufklärung vorantreiben. Und sie muss aufhören, Abgeordnete von der Ausübung ihrer gesetzlichen Aufgaben abhalten zu wollen und dafür Sorge tragen, dass das Parlament zügig alle erforderlichen Informationen erhält. Auch die Fraktion DIE LINKE forderte nach den ersten Veröffentlichungen am 21. Juni noch eine ‚schnellstmögliche und transparente Aufklärung des Falles‘. Die eigene, linke Justizministerin Bernhardt scheint aber auch das nicht zu interessieren. Dabei gilt: Nur eine umfassende Aufklärung kann dafür sorgen, dass nicht noch mehr Vertrauen in den Rechtsstaat verloren geht.“
Hintergrund:
NDR Artikel: Messerattacke in Stralsund: Scharfe Kritik an Polizei und Staatsanwaltschaft