23. Sitzung am 13. März 2023

In der 23. Sitzung des NSU–Untersuchungsausschusses wurde zunächst der Zeuge Ma. Fa.vernommen. Er war von 2006 bis 2011 Teil der SOKO Kormoran, die zwei Jahre nahm dem Mord an Mehmet Turgut gebildet wurde. Von November 2011 bis Mai 2012 bildete er den Einsatzabschnitt (EA) Kormoran innerhalb der BAO Trio MV. Der zweite Zeuge, Lu. Sa., war von November 2011 bis September 2013 im EA PMK/Folgemaßnahmen der BAO Trio MV tätig und bereits am 24.10.2022 vernommen worden.

In seinem Eingangsstatement ging Ma. Fa. zunächst ausführlich auf die Tätigkeit der SOKO Kormoran ein, die bereits der NSU-Untersuchungsausschuss der vergangenen Legislaturperiode ausführlich untersucht hatte. So berichtete er von Zeugenhinweisen und Tatortspuren, die ins Leere führten. Einen größeren Raum nahmen vermeintliche Spuren im Umfeld des Opfers ein. Er wiederholte zudem die divergierenden Operative Fallanalysen aus Bayern und Baden-Württemberg, die einerseits die Hypothese eine kriminellen ausländischen Organisation aufstellte, andererseits rassistisch motivierte Einzeltäter hinter der Tatserie vermuteten. Der Aussage des Zeugen, beide Ansätze seien gleichermaßen verfolgt worden, wurde aus dem Untersuchungsausschuss entgegen gehalten, die Aktenlage zeige einen deutlichen Schwerpunkt auf den Ermittlungen im Umfeld des Opfers. Einzig die AfD suggerierte mit ihren Fragen, die (seit 2011 für alle offensichtlich) falschen Ermittlungsansätze brächten einen Erkenntnisgewinn zum NSU-Komplex, und offenbarte so ihre rassistische Perspektive auf das Thema.

Danach ging Ma. Fa. auf seine Tätigkeit in der BAO Trio M-V ein. Er sei von Beginn an um EA Kormoran gewesen. Dieser war für neue Erkenntnisse Ursprünglich sollte dieser aus mehreren Personen bestehen. Letztlich habe nur er den Bereich dauerhaft bearbeitet, bei Bedarf aber auch Unterstützung zweier Kollegen erhalten, die schon vor 2011 an den Ermittlungen beteiligt waren. Er sei in den Austausch und Abstimmung zu den bundesweiten Ermittlungen mit dem BKA und insbesondere dem Regionalen Einsatzabschnitt aus Bayern einbezogen gewesen. Er habe Vorschläge für eigene Ermittlungen der BAO Trio M-V unterbreitet, für den Staatsanwaltschaft einen Sachstandsbericht zum Fall Turgut erstellt, die Bundesanwaltschaft bei einer Tatortbegehung in Rostock begleitet und diverse Datenabgleiche durchgeführt. So habe er eine Liste mit möglichen Suchbegriffen erstellt, mit denen die in der Zwickauer Wohnung des NSU-Kerntrios abgeglichen werden sollten. Diese sollten eine einen solchen Bezug zur Tat oder zum Tatort haben und abklären, inwiefern der NSU die Opfer und Tatorte gezielt oder zufällig ausgewählt hatte. Auch die Altdaten aus den Ermittlungen bis 2011 wurden durchsucht, unter anderem anhand der Namen von bekannten Rechtsextremen sowie der Karten und Adresslisten, die in Zwickau gefunden worden waren. Im Tatortumfeld sei nach möglichen Aufenthalten des NSU-Kerntrios sowie etwaiger Unterstützer:innen gesucht worden. Zudem seien die Tante und die Cousine Uwe Böhnhardts vernommen worden. Letztere wohnte zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts, beide hatten aber seit Mitte der 1990er jedoch keinen Kontakt mehr zu Böhnhardt.

Ma. Fa. berichtete auch von Problemen in der Zusammenarbeit mit dem BKA. Man habe sich von diesem mehr Informationen erhofft. So habe das BKA ihnen zunächst nur eine Übersicht über die durchgeführten Vernehmungen und nicht deren Inhalte übermittelt.

Den Umgang mit den Angehörigen von Mehmet Turgut bezeichnete Ma. Fa. als „hartnäckig“, er halte dies angesichts der Umstände aber für normal. Eine nachträgliche Reflexion, was man hätte anders machen können, habe nicht stattgefunden. Kurz nach Selbstenttarnung des NSU habe ein Cousin von Mehmet Turgut sich nach dem Wahrheitsgehalt der Medienberichte erkundigt. Ma. Fa. habe zugesagt, dass er informiert werde, könne heute aber nicht sagen, inwiefern das geschehen sei.

Der Zeuge wurde auch auf Verbindungen möglicher Unterstützer:innen oder Kontaktpersonen angesprochen. Er legte dar, dass als Unterstützer:innen diejenigen bezeichnet wurden, gegen die der Generalbundesanwalt (GBA) ermittelt habe. In diesem Sinne habe es keine Hinweise auf Unterstützer:innen gegeben. Zu Ermittlungen von Nazis ins Rostocker Rockermilieu beffragt, konnte er auf Vorhalt der Namen Sa. He. und Th. Dü. nur auf vage Erinnerungen verweisen und sich an keine Details erinnern. Ähnliches galt für Verbindungen des ehemaligen V-Manns des Verfassungsschutzes M-V, Michael Grube, zu Toni Stadler, V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes.

Der Zeuge Lu. Sa. wurde konkret zu Sachverhalten befragt, die nach der letzten Zeugenvernehmung – zum Teil wegen fehlender Freigaben von Akten – offen geblieben waren.

Im Brandschutt der Zwickauer Wohnung des NSU-Kerntrios war ein Video gefunden worden, dass die Drei laut Zeitstempel im Mai 2011 in Göhren auf Rügen zeigte. Damit korrespondierte in eben diesem Zeitraum eine Autoanmietung untereinem Aliasnamen des Trios, die aufgrund der gefahrenen Kilometer genau zu einer Fahrt von Zwickau nach Rügen und zurück passte. Es habe aber, so Lu. Sa., keine Zeugenaussage gegeben, die diesen Aufenthalt bestätigt habe. Deshalb sei er nicht gesichert nachgewiesen.

Der Briefwechsel von Uwe Mundlos mit einem anderen Nazi, in dem er von einem billigen Waffenladen in Rostock berichtete, in dem man sich eindecken wolle, sei später als nicht glaubhaft eingestuft worden. Zu den Kontakten mach Rostock, die Zschäße, Böhnhardt und Mundlos Mitte der 1990ern pflegte, wiederholte der Zeuge, er habe lediglich einen vernommen. Da über diesen auf eine linken Internetseite berichtet worden sei, habe er in Absprache mit dem BKA eine Gefährdetenansprache durchgeführt. Bei dieser Gelegenheit habe er ihn auch auf Kontakte zum NSU angesprochen. Im Übrigen habe das BKA über Venehmungen entschieden und diese durchgeführt. Dem Zeugen wurden Vermerke des BKA vorgehalten, denen zufolge „keine Historienforschung“ betrieben werden solle. Das bedeute, das Personen nur bei Kontakten zum NSU nach Abtauschen des Kerntrios als „von Wertigkeit“ angesehen würden. Man müsse sich im Falle häufiger Anfragen und Anregungen „auf Zurechtweisungen“ seitens des GBA einstellen, da jeder Vorgang zur Akte genommen werden müsse. Eine Fahrt des NSU-Kerntrios mit Personen aus Rostock nach Tschechien sei in die Zuständigkeit des BKA gefallen. Inwiefern etwaige Schießübungen überprüft wurden, könne der Zeuge nicht sagen.

Dem Zeugen wurden Hinweise vorgehalten, die die BAO aus Quellen aus dem Rostocker Bereich erhalten hatte. Demnach habe Andre Eminger an zwei Treffen der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) teilgenommen. Dazu lag ein polizeilicher MAEX(Mobile Aufklärung Extremismus)-Bericht vor, demzufolge sich 10-15 Personen, die der HDJ zuzuordnen seien, auf einem Gelände in Wittenbeck getroffen hatten, darunter David Petereit, lokale HDJ-Führer Ragnar Dam und weitere Neonazis aus Mecklenburg-Vorpommern. Hinzu kam ein weiterer Bericht, der von einem Treffen mit übereinstimmendem Personenkreis am gleichen Wochenende (18.-20.4.2008) in einer Kleingartenanlage in Bad Doberan berichtete, an dem auch unbekannte Personen teilgenommen hätten. Lu. Sa. bestätigte, dass die Berichte zu der Quellenmitteilung passten. Eine Teilnahme von Andre Eminger könne jedoch nicht nachgewiesen werden.

In direktem Zusammenhang stand ein weiterer Hinweis, demzufolge St. Za. Kontakte zum NSU-Umfeld habe. Die BAO konnte ermitteln, dass er u.a. mit Petereit und weiteren Neonazis aus M-V bei einem HDJ-Treffen im Mai 2008 in Sachsen aufgefallen sei. Lu. Sa. berichtete, das BKA habe die BAO Trio MV beauftragt, St. Za. zu vernehmen. Nachdem dieser zwei Vorladungen nicht gefolgt sei, habe der GBA ihn nicht selbst geladen, sondern von einer Vernehmung abgesehen.

Schließlich wurde der Zeuge zum Fund der sogenannten NSU-CD in Krakow am See befragt. Er berichtete, im Rahmen eine Durchsuchung wegen einer Cannabis-Plantage hätten die für Rauschgift zuständigen Ermittler eine mit „NSU“ beschriftete CD gefunden. Kurz darauf habe das BKA aufgrund eines anderen Fundes eine ähnlichen CD alle Polizeien und Verfassungsschutzämter der Länder nach solchen CDs gefragt. Nachdem die BAO das BKA informiert hatte, habe es die Ermittlungen an sich gezogen. Dabei sei festgestellt worden, dass die CD nicht vollständig, aber überwiegend mit dem anderen Fund übereinstimme. Es habe aber nicht festgestellt werden können, woher die CD stamme. Die Person, bei der die CD gefunden worden sei, habe auf seine ehemalige WG in Norwegen verwiesen. Ihn und seine damaligen Mitbewohner habe das BKA vernommen, ohne dass es neue Erkenntnisse ergab. Nach der Ergänzung, an einer Befragung habe auch ein Beamter der BAO Trio MV teilgenommen wurde Lu. Sa. danach gefragt, warum nicht das Handy von St. Mi. auf etwaige Kontakte in die Naziszene ausgelesen wurde. Der Zeuge verwies auf die Zuständigkeit des BKA. Er konnte auch nicht beantworten, warum keine Bezüge von St. Mi in die rechtsextreme Szene aus der Güstrower Gegend überprüft wurden, obwohl er daher stammte. Das BKA erhielt später die Erkenntnis, dass der 2014 verstorbene ehemalige V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz. Thomas Richter alias Corelli, als mutmaßlicher Urheber der CD in Betracht kommt. Dabei war aufgefallen, dass David Petereit im Jahr 2000 Richter/Corelli in einer Email bat, ihm „massenweise Bilder, (…) Bücher, Programme und andere Sachen“ auf einer CD zu schicken, um daraus eine „Propaganda-CD“ zu machen. Petereit wurde daraufhin vom BKA vernommen, doch auch dazu hatte der Zeuge keine Erkenntnisse.